An einer Stelle dieses Hefts ist – in Frageform – vom "Ende der typographischen Literalität" die Rede. Sind wir Zeugen vom "Verschwinden und Sich-Zurückziehen von Sinn/Bedeutung aus der Schrift"? ... "Oder hat die Schrift nur ihren papierenen 'Wirt' verlassen und sich einem elektronischen anvertraut?"
In diesen Sätzen kommt eine Beunruhigung zu Papier, die heute in den Diskussionen über Lesen und Schreiben unweigerlich mitschwingt. Schriftlichkeit ist uns einerseits so selbstverständlich wie die Luft zum Atmen - nicht der Rede wert, solange sie nicht ausgeht. Erst die Beunruhigung, da verändere sich etwas, macht LESEN zum dringlichen Thema, schärft das Verlangen nach genauerem Wissen, öffnet ein ungeahnt vielschichtiges Spektrum von Fragen. Mehr
Fragen auf Seiten des Lesevermögens: Wie steht es mit der Lesefertigkeit der Schweizer Schüler (vgl. Stoll et al.). Ist für manche Erwachsene auch hierzulande Lesen ein dramatisches ?melborP. Wie wird Nichtlesenkönnen von Kindern erlebt, und gibt es Wege, ihm zu begegnen?
Fragen auf Seiten der gesellschaftlichen Veränderungen: Inwiefern definieren die Anforderungen im heutigen Berufsleben eine ausreichende Lesekompetenz neu? Wie wirkt sich die Verschiebung des "Wirts", sprich die nicht mehr nur auf Schriftlichkeit basierende Medienlandschaft aus? (Vgl. etwa die Univox-Studie)
Didaktische, pädagogische, psychologische und physiologische Fragen sodann: Wie lernt man – optimal, und überhaupt – lesen? Was geht Im Gehirn vor ((vgl. die Forschungsansätze von Groner et al.) und was im Bewusstsein?
Wie lernen Kinder lesen? Die erwachsene Erinnerung verpasst regelmässig den springenden Punkt. Dass es mühsam war, weiss man vielleicht noch. Irgendwie ging es dann auf einmal, und seither ist der Zustand des Nichtlesenkönnens unserem Bewusstsein entschwunden. Ein Zurückversetzen gelingt höchstens annäherungsweise in völlig fremder Umgebung: Tokio zum Beispiel als experimentelle Lesestadt für uns Nur-Alphabeten.
Das Leseforum Schweiz macht es sich zur Aufgabe, Informationen über Forschungsprojekte, innovative Ansätze in der Praxis, Publikationen und Termine im Zusammenhang mit LESEN zu sammeln und weiterzugeben. Das hier erstmals vorgelegte Informationsbulletin versteht sich als Netz, ausgeworfen in verschiedenste Fischgründe – sprich Fachgebiete, Institutionen und Arbeitsfelder, in denen das LESEN thematisiert wird. An Vollständigkeit war angesichts der sehr kurzen Vorbereitungszeit nicht zu denken. Sie ist auch künftig nicht das Hauptziel. Vielmehr versteht sich das Informationsbulletin als "papierener Wirt" für alle, die in der Schweiz von irgendeiner Seite her mit Lesen befasst sind. Beiträge für eine nächste Nummer – und natürlich der Beitritt zum "Leseforum Schweiz" – sind jederzeit hochwillkommen.
Anna-Katharina Ulrich