Intertextualität durchzieht das gesamte literarische und mediale Schaffen. Jeder Text steht in Beziehung zu anderen – sei es durch Anspielungen, Zitate oder Verweise auf bekannte Werke. Julia Kristeva und Gérard Genette haben diesen Begriff geprägt und gezeigt, dass Literatur nie isoliert existiert, sondern immer Teil eines größeren Netzwerks von Texten, Autor:innen und kulturellen Einflüssen ist.
Gerade in der Schule spielt Intertextualität eine wichtige Rolle: Sie hilft Schüler:innen, Texte in ihrem kulturellen und historischen Kontext zu verstehen und kritisch zu hinterfragen. Auch beim (schulischen) Schreiben ist Intertextualität zentral: Schüler:innen greifen beim Verfassen eigener Texte bewusst oder unbewusst auf bereits bekannte Geschichten, Motive oder Textstrukturen zurück. Dies fördert kreatives Schreiben, aber auch die kritische Auseinandersetzung mit Literatur. Gleichzeitig wirft es Fragen zur Originalität und zum kreativen Umgang mit Quellen auf. Mit Intertextualität eng verknüpft sind Phänomene der Intermedialität: Schriftliche Texte können in anderen Medien wie Film, Musik oder Kunst repräsentiert sein und mit diesen interagieren, was insbesondere auch in der Kinder- und Jugendliteratur relevant ist.
Diese Ausgabe von leseforum.ch widmet sich diesen Fragen und lädt dazu ein, Intertextualität und Intermedialität aus literaturwissenschaftlicher, didaktischer und medienbezogener Perspektive zu beleuchten. Mehr
Maik Philipp beleuchtet das Thema Intertextualität von multiplen Sachtexten aus der Perspektive der kognitionspsychologischen Leseforschung. Er stellt die Entwicklung von theoretischen Modellen dar, die der Komplexität des intertextuellen Verstehens – einer der anspruchsvollsten Leseleistungen überhaupt – zunehmend gerecht werden. Diese Modelle diskutiert er theoretisch und anhand vorliegender empirischer Befunde.
Intermedialität als ein «über reine Intertextualität hinausgehendes Dachkonzept» steht im Fokus des literaturdidaktischen Beitrags von Klaus Maiwald. Der Autor gibt zunächst einen Überblick über Schlüsselkonzepte von Intermedialität und ihrer Entstehung. Anschliessend konkretisiert und diskutiert er diese Konzepte am Beispiel des intermedialen Angebots zu Goethes Ballade «Der Zauberlehrling».
Alice Spreafico, Bruno Védrines und Anne Monnier-Silva denken in ihrem Artikel über die Herstellung von Schulliteratur anhand des anthologischen Lesebuchs nach. Sie beschäftigen sich aus historischer Sicht mit der Konstruktion von literarischer Reputation im schulischen Kontext.
Emilie Schindelholz Aeschbacher geht von Äusserungen von Lehrerinnen und Lehrern aus, um die literarischen und kulturellen Referenzen von klassischen Märchen in der Kinder- und Jugendliteratur zu ermitteln. Die Autorin befasst sich mit der Intertextualität in Bezug auf die aktuellen Herausforderungen aus didaktischer Sicht und stellt die Frage, was gelehrt wird und was nicht.
Ina Brendel-Kepser nimmt in ihrem Beitrag Fanfiction als kulturelle Praxis in den Blick. Hier zeigt sich Intertextualität in den Bezügen zwischen einem Originaltext und den vielfältigen daran anknüpfenden Textproduktionen der Fans. Die Autorin diskutiert Intertextualität als literaturwissenschaftliches Konzept und Fanfiction als Form der Partizipationskultur und beschreibt didaktische Potenziale dieser Verbindung für den Schreibunterricht.
Antje Kolde und Catherine Fidanza führen uns in die Literaturdidaktik der alten Sprachen ein. Die Autorinnen analysieren Texte von Schülerinnen und Schülern auf Mikro- und Makrostrukturebene, um ihre intertextuellen Bezüge zu bestimmen.
Cherryl Odiet nimmt uns mit in eine Mediathek und stellt uns ein Projekt für einen Geschichtenteppich vor. Die Autorin geht auf die kollaborativen Ansätze ein, die sie unternommen hat und die den Lehrerinnen und Lehrern mögliche Nutzungspfade bieten, insbesondere für die Arbeit mit der Intertextualität.
In einem weiteren Beitrag schliesslich untersuchen Enya Theresa Csernyin und Verena Ronge in ihrer empirischen Studie Vorlesegespräche in der Grundschule. Sie finden verschiedene Hinweise auf Imaginationsbildung bei der Rezeption eines Märchenbilderbuchs, darunter auch Aspekte literarischer Bildung wie Differenzerleben, Füllen von Leerstellen und Interpretationen. Sie plädieren für den Einsatz mehrdeutiger und polyvalenter Bilderbücher zur Förderung der Imaginationsfähigkeit.
Carole-Anne Deschoux, Claudia Hefti und Anne Monnier